03.03.2016
Design Thinking – die neue alte Kreativität
Immer mehr Unternehmen setzen auf Design Thinking, um ihre Produkte und Dienstleistungen näher am Nutzer auszurichten. Doch den Nutzer in den Mittelpunkt zu stellen, ist nicht unbedingt etwas Neues. Das Human-centered Design (HCD, früher UCD) fordert bereits seit den 1990er Jahren eine umfassende Nutzerorientierung. Ist Design Thinking also nur eine neue Beschreibung für Human-centered Design? Die Antwort lautet: „Jein“. Wir zeigen euch, worin die Gemeinsamkeiten und größten Unterschiede bestehen.
Nutzerzentrierte Gestaltung
Das wichtigste Grundprinzip und die größte Gemeinsamkeit von Design Thinking und Human-centered Design: Die Menschen stehen im Mittelpunkt der Produkt- & Service-Entwicklung. 2011 wechselte die Bezeichnung in der deutschen Fassung der DIN ISO 9410-210 von „nutzerzentriertem Design“ (User-centered Design (UCD)) zu „menschenzentrierte Gestaltung“ (Human-centered Design (HCD)). Denn neben den eigentlichen Nutzern sind weitere Stakeholder, wie z. B. Entscheider im Einkauf, wichtig für den Prozess. Diese werden dann sowohl beim Human-centered Design als auch beim Design Thinking in alle Phasen der Gestaltung und Entwicklung einbezogen – von der Analyse des Nutzungskontexts bis zur Evaluation.
Iterativer Prozess
Eine weitere Gemeinsamkeit ist das iterative Vorgehen. Die Norm DIN EN ISO 9241-210 beschreibt den Prozess des Human-centered Design in vier Phasen: Verstehen der Bedürfnisse und des Nutzungskontextes, Festlegung der Nutzungsanforderungen, Entwurf von Gestaltungslösungen und Evaluation der Gestaltungslösungen. Diese Phasen werden so lange iterativ durchlaufen, bis ein optimales Ergebnis für Produkt und Service erzielt wird. Auch das Design Thinking folgt einem iterativen Prozess. Obwohl Design Thinking formal in sechs verschiedene Phasen eingeteilt ist, gibt es viele Überschneidungen.
Ähnliche Methoden
Die Analyse der Ausgangssituation spielt bei beiden Ansätzen eine entscheidende Rolle. Dazu gehören u. a. die Analyse der Anforderungen, spezifischen Aufgaben und Eigenschaften der Nutzer sowie die Analyse der Nutzungsumgebung. Denn wer seine Benutzer nicht genau kennt, entwickelt an ihren Wünschen vorbei. Auch bedienen sich beide Ansätze aus einem ähnlichen Methoden-Pool. So greifen Teams in beiden Gestaltungsprozessen beispielsweise auf die Methode der Personas zurück. Personas sind hypothetische, aber sehr konkrete Beschreibungen eines typischen Benutzers. Sie erleichtern es den Gestaltern, sich in die tatsächlichen Benutzer eines Produkts oder Services hineinzuversetzen. Außerdem machen die Teams Ideen anhand von Prototypen erfahrbar und überprüfen die Ergebnisse mit Nutzern.
Mehr als das Altbekannte
Während sich das Vorgehen stark ähnelt, unterscheidet die beiden Ansätze vor allem ihre Zielsetzung. Ziel des Human-centered Designs ist es, eine hohe Usability und User Experience eines Produkts und Services zu gewährleisten. Design Thinking dagegen steuert auf die Entwicklung innovativer und kreativer Lösungen für komplexe Probleme hin. Es gilt, eine Lösung zu finden, die die Bedürfnisse der Nutzer befriedigt, technisch machbar und hinsichtlich der Kosten wirtschaftlich ist.
Damit hat Design Thinking einen deutlich breiteren Anwendungsbereich. Human-centered Design fokussiert sich meist auf das User Interface und auf bekannte Fragen. Das Problemspektrum beim Design Thinking kennt dagegen keine Grenzen: Es geht um das Bearbeiten neuer Produkte, Dienstleistungen, aber auch um Konzepte für die Lösung gesellschaftlicher Fragen. In Abgrenzung zu Human-centered Design werden Fragen beim Design Thinking häufig ganz neu entwickelt bzw. bestehende zunächst kritisch hinterfragt. Insgesamt betont Design Thinking Innovation und Kreation deutlich stärker, so bleibt Design Thinkern meist ein größerer Spielraum bei der Gestaltung.
Anders als Design Thinking ist Human-centered Design in einer offiziellen Norm beschrieben und definiert. Eine genaue Design-Thinking-Definition ist dagegen nicht ganz so einfach. Design Thinking ist zugleich eine neue Denkweise und eine Sammlung von Prinzipien, Methoden und Techniken. Das zugrundeliegende Vorgehen beim Design Thinking orientiert sich dabei an der Arbeitsweise und nicht zuletzt am „fokussierten, aber kreativen“ Chaos von Designern und Architekten.
Beim klassischen Human-centered Design greifen die Entwicklerteams auf das Gestaltungswissen der Human-Computer-Interaction (HCI) sowie dessen Standards und Styleguides zurück. Damit ist dieses Vorgehen sehr viel geregelter als im Design Thinking. Für bestimmte Aufgabenstellungen ist dies der schnellste Weg zum Ziel und deshalb bei vielen Projekten durchaus von Vorteil.
Ein weiterer Erfolgsfaktor von Design Thinking ist die Arbeit in multidisziplinären Teams. Diese setzen sich aus Menschen unterschiedlicher Fachbereiche zusammen. Damit beziehen sie verschiedene Blickwinkel mit ein. Die Teams arbeiten auf Augenhöhe, ergebnisoffen und lösungsorientiert – und dies funktioniert am besten in einer kreativen Umgebung. Deshalb lieben Design Thinker flexible Raumkonzepte mit viel Platz. Stehtische, Whiteboards und eine große Auswahl an verschiedenen Materialien, wie z. B. Legosteine und Post-its, helfen, Ideen schnell zu visualisieren. Zwar fordert die Norm für das Human-centered Design ebenfalls interdisziplinäre Teams. In der Praxis zeigt sich allerdings, dass den Prozess vorrangig Usability Professionals steuern, vorantreiben und bearbeiten.
Ergänzen oder ersetzen?
Ersetzt Design Thinking das Human-centered Design? Beim Design Thinking geht es in erster Linie um die Entwickelung und das frühzeitige Testen von Visionen und kreativen Lösungsideen für unterschiedliche Arten von Problemen. Damit setzt Design Thinking früher und grundsätzlicher an als Human-centered Design. Die Stärke von Human-centered Design besteht darin, ein Produkt basierend auf den Anforderungen der Nutzer so zu gestalten, dass es intuitiv und einfach zu bedienen ist. Doch in den letzten Jahren hat Human-centered Design seinen Blickwinkel erweitert. Neben der Gebrauchstauglichkeit rücken die Attraktivität und emotionale Wirkung eines Produkts (User Experience) immer mehr in den Vordergrund.
Damit wurde der Fokus wesentlich breiter. Die beiden Prozesse schließen sich keineswegs aus oder ersetzen sich. Sie ergänzen sich vielmehr gegenseitig. So können Teams mit Hilfe von Design Thinking im ersten Schritt Visionen und Lösungsansätze identifizieren. Im zweiten Schritt führt Human-centered Design zu einer nutzerzentrierten Gestaltung. So können sie sicherstellen, dass aus einer Idee eine Innovation entsteht, die dem Nutzer tatsächlich einen Mehrwert bietet. Individuell auf die Projekte und Anforderungen unserer Kunden abgestimmt setzen wir sowohl Human-centered Design als auch Design Thinking ein. Ihr interessiert euch für unsere Leistungen? Kontaktiert uns gern.
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Der Autor
Prof. Dr. Michael Burmester ist Principal Scientific Advisor bei UID. Von 2002 bis Dezember 2010 war er Berater Research and Innovation bei UID. Seit 2002 ist Dr. Michael Burmester Professor für Ergonomie und Usability im Studiengang Informationsdesign an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart. Er forscht zu Methoden des Usability Engineering und der User Experience sowie zu den Themenfeldern Human-Robot Interaction, interaktive Informationsgrafiken und Informationsunterstützung für Passagiere. Zudem leitet er seit 2005 den Forschungsschwerpunkt User Experience Research am Institute of Information Design Research (IIDR) der HdM.