06.10.2021
6Rs – Sechs Prinzipien für eine nachhaltige Produktentwicklung
Wie könnt ihr Lösungen gestalten, die sinnvoll, wertschöpfend und ressourcenschonend sind und die Lebensqualität eurer Nutzenden steigern? Wir zeigen euch unsere Strategie für nachhaltige Produktentwicklung. Erfahrt, wie ihr mit sechs Prinzipien (6Rs) die Basis legt, um nachhaltige Produkte und Services zu entwickeln. Die 6Rs geben euch Leitlinien an die Hand, wie ihr ethische, soziale und ökologische Aspekte in der Entwicklung berücksichtigt.
Was bedeutet nachhaltige Produktentwicklung?
Nachhaltigkeit ist längst keine Nische mehr. Immer mehr Konsument:innen, aber auch B2B-Unternehmen fragen nach nachhaltigen Lösungen. Immer mehr Unternehmen verankern Nachhaltigkeit in ihren Werten. Daher steht das Thema bei vielen Herstellern ganz oben auf der Agenda. Oft wird Nachhaltigkeit mit „gut für die Umwelt“ gleichgesetzt. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Nachhaltigkeit in der Entwicklung ist viel komplexer und fokussiert auf drei Fragen, die eng miteinander verknüpft sind:
- Ökonomie: Wie entstehen sinnvolle, wertschöpfende Produkte und Services, die nicht nur auf schnelles Wachstum, sondern langfristigen Erfolg ausgelegt sind?
- Soziales: Wie steigern Produkte und Services die Lebensqualität Ihrer Nutzenden?
- Ökologie: Wie können Produkte und Services dazu beitragen, Ressourcen zu schonen und wiederherzustellen?
6 Prinzipien für die nachhaltige Gestaltung von Produkten
Alle drei oben genannten Aspekte sind wichtig, wenn ihr Produkte und Services entwickelt. Dabei helfen euch unsere 6Rs – 6 Prinzipien für die nachhaltige Gestaltung von Produkten und Services. Sie ersetzen nicht klassische Designprozesse wie den Human-Centered-Design-Prozess. Sie sollen diesen vielmehr um ethische, soziale und ökologische Perspektiven ergänzen. Die 6Rs geben euch Leitlinien an die Hand, wie und wo Ihr Aspekte der Nachhaltigkeit in die Entwicklung integrieren könnt. Einige der 6Rs sind nicht neu: Ihr kennt Prinzipien wie Reuse und Reduce sicher beispielsweise aus der Circular Economy oder dem privaten Kontext. Wir haben sie jedoch in die digitale Welt übertragen und ergänzt.
Rethink: Denkt um und neu
Stellt Gewohnheiten in Frage und löst euch von Althergebrachtem. Hinterfragt im Sinne der digitalen Ethik die Werte, die euer Unternehmen und eure Arbeit ausmachen. Schafft ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit – bei euch selbst, im Unternehmen und in der Gesellschaft. Nutzt beispielsweise in der Ideation und im Prototyping Prozesse wie Design Thinking, um neue, nachhaltige Ansätze zu finden. Mit welchen Ideen könnt ihr beispielsweise Nutzende dabei unterstützen, ihr Verhalten zu verändern, um gesünder oder nachhaltiger zu leben? Das beinhaltet, grüne Optionen erstmal sichtbar zu machen oder als Default anzubieten.
Ein Beispiel hierfür: Die Hamburger U-Bahn gestaltet die Treppen zum Bahnsteig als Sprintbahn. Dies soll Passagier:innen motivieren, die Treppe statt die Rolltreppe zu nehmen, um sich so mehr zu bewegen. Ein weiteres Beispiel stammt aus unserer eigenen Forschung: Wir widmeten uns in einem Projekt der Frage, wie wir Denkmuster im Bereich Ernährung durchbrechen können: Wie können wir weg von den immer größer werdenden Monokulturen und wieder zu einer lokaleren, autarkeren Landwirtschaft? Ein Ansatz: Die Einstiegshürde für alle mit wenig Platz und Erfahrung zu senken. Wir entwickelten einen intelligenten Kräutergarten, der sich dank Sensoren fast komplett selbst versorgt.
Research: Legt die Wissensbasis für Entscheidungen
Um die richtigen und nachhaltigen Entscheidungen im Entwicklungsprozess treffen zu können, braucht ihr eine solide Wissensbasis. Diese könnt ihr auf unterschiedliche Weise schaffen: So könnt ihr gezielt Experten-Wissen abfragen, damit ihr die Auswirkungen eurer Entscheidungen wirklich beurteilen könnt. Sammelt zudem Wissen über die Bedürfnisse eurer Nutzenden sowie den Nutzungskontext. Nur so könnt ihr die Nutzung eures Produkts oder Services verstehen und den Bedarf eurer Kundschaft erkennen. Dazu gehört es beispielsweise, Ideen und Konzepte möglichst
früh mit Nutzenden zu testen. Das Feedback ermöglicht es euch, die Ideen zu fokussieren, die gut bei eurer Kundschaft ankommen. Produkte, Services und Features, die keiner braucht, könnt ihr euch sparen und so Ressourcen minimieren. Berücksichtigt bei eurer Research auch bewusst ethische, soziale und ökologische Aspekte. Auch wenn euer Projekt nichts mit Künstlicher Intelligenz oder Big Data zu tun hat, gibt es dennoch oft Berührungspunkte zu ethischen Fragen. Diese ethische Perspektive einzunehmen, ist oft nicht einfach und muss geübt werden.
Im Projekt inDAgo untersuchten wir, wie wir im Alter die Mobilität im öffentlichen Raum unterstützen können. Dazu befragten wir Senior:innen zum öffentlichen Nahverkehr. Das ergab, dass Senior:innen Ticketautomaten als unhygienisch empfinden. Sie sorgen sich vor Krankheiten und nutzen den Automaten ungern. Klar war: Mobilität ist für sie nur unbeschwert, wenn sie berührungslos möglich ist. Daraus ergaben sich für uns zwei Hauptfragen in der Produktentwicklung: 1. Welche technologischen Alternativen zum klassischen Ticketautomaten gibt es? 2. Wie können wir dabei Werte der Nutzenden wie Privatsphäre, Selbstbestimmung und Sicherheit wahren?
Reflect: Hinterfragt Auswirkungen
Basierend auf den Ergebnissen eurer Research: Hinterfragt, wie sich euer Produkt oder Service auf Individuen und die Gesellschaft auswirkt, und kommuniziert diese Auswirkungen transparent: Schadet die Lösung der Umwelt – beispielsweise, weil sie viel Energie verbraucht? Ist das Produkt sicher? Beeinträchtigt es die Gesundheit der Nutzenden? Wahrt es ihre Privatsphäre? Kann jeder gleichberechtigt teilhaben? Diese letzte Frage zielte auf das Thema Barrierefreiheit. Barrierefrei bedeutet, dass alle Menschen eine Software, App oder Website nutzen können – unabhängig davon, ob sie beeinträchtigt sind oder nicht.
Beeinträchtigungen können dauerhafte Einschränkungen sein wie Blindheit, motorische Defizite oder Weitsichtigkeit im Alter. Aber Barrierefreiheit betrifft nicht nur diese Zielgruppe, sondern uns alle: Auch situative Umstände können die Nutzung temporär erschweren. Beispiele hierfür sind eine laute Geräuschkulisse, blendendes Sonnenlicht oder wenn Nutzende nur eine Hand frei haben. Barrierefreiheit nützt also allen – Menschen mit, aber auch ohne Einschränkungen. Denn barrierefreies Design bedeutet höchste Nutzungsfreundlichkeit für alle.
Um die ethischen und sozialen Aspekte systematisch zu erfassen und zu überblicken, setzt Tools wie EVA (Ethical Value Assessment) ein. Mit dem interaktiven Tool erstellt Ihr Lösungsvarianten. Dabei bewertet ihr für Dimensionen wie Profitabilität oder Datenschutz, welche Chancen und Risiken mit diesen für eure Stakeholder einhergehen. So könnt ihr Entscheidungen transparent tracken und erreicht, dass Entscheidungen, die nicht nachhaltig sind, auch verargumentiert werden müssen.
Reduce: Spart Ressourcen
Wer nach dem Human Centered Design Process menschzentriert entwickelt, tut gleichzeitig was für die Umwelt. Denn menschzentrierte Produkte und Service ermöglichen ein effizienteres Arbeiten: Nutzende können ihre Aufgaben schneller erledigen, verbringen weniger Zeit mit der Anwendung und verbrauchen dadurch weniger Energie. Auch die Digitalisierung bietet enormes Potenzial, um Material und Energie zu sparen. Denken wir an die vielen Remote-Konzepte, denen Corona Aufwind gegeben hat. Mit ihrer Hilfe lassen sich beispielsweise Business-Reisen verringern.
Gleichzeitig verursacht die zunehmende Digitalisierung neue CO2-Emissionen – vor allem durch die Nutzung und Entwicklung von Software. Mit einer effizienten Programmierung könnt ihr dem jedoch entgegenwirken und den Energieverbrauch eurer Software senken. Von der Wahl der richtigen Technologien über Abwärtskompatibilität und eine minimale Datenübertragung – ein Bitkom-Leitfaden gibt euch praxisnahe Tipps, wie dies gelingt. Einen raschen Überblick mit konkreten Hinweisen und Tipps liefert ein Cheat Sheet. Wer nachhaltig entwickelt, kann sich dies seit 2020 auch mit dem „Blauen Engel“ zertifizieren und damit offiziell nach außen bestätigen lassen.
Reuse & Repair: Verwendet Bestehendes wieder
Ob Libraries und Frameworks, wiederverwendbare Module, die Trennung von Logik und View, DevOps für verschiedene Industriezweige oder Patterns für Workflows – die Software-Entwicklung kennt viele „Methoden“, um Bestehendes wiederzuverwenden. Leider sind diese oftmals eher Mythos als gelebte Realität. Auch Living Styleguides ermöglichen eine effizientere Entwicklung und sichern ein einheitliches Look & Feel innerhalb des Produkts und einer
Produktfamilie. Beispielsweise in unserem TRUMPF-Projekt dokumentierten wir alle UI-Komponenten inklusive Code-Snippet in einem HTML-Styleguide auf Basis des Atomic-Design-Prinzips. Immer aktuell, jederzeit verfügbar, schnell anpassbar – Living Styleguides haben viele Vorteile im Vergleich zu ihren statischen Pendants. Damit werden sie der Dynamik in multidisziplinären Teams besser gerecht.
Fazit
Die Digitalisierung bestimmt immer mehr Bereiche unseres täglichen Lebens und Arbeitens. Die 6Rs unterstützen euch dabei, zukunftsfähige Produkte zu entwickeln, die dem steigenden Bedürfnis der Nutzenden nach mehr Nachhaltigkeit entsprechen. Damit legt ihr nicht nur den Grundstein für langfristigen Erfolg. Ihr tragt damit zugleich zu einer Zukunft bei, in der wir gern leben wollen.
Ihr wollt den ersten Schritt in Richtung nachhaltige Produktentwicklung machen? Dann erfahrt mehr über unsere Leistungen rund um die 6Rs.
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